Die SMAA Germany Tour 2013 war ein Abenteuer. Acht Amerikaner. Sieben Tage Mitteldeutschland. Unsere Gäste betraten Neuland. Die meisten hatten ihren Kontinent noch nie zuvor verlassen, geschweige denn deutschen Boden berührt. Nun wagten diese jungen Männer den Schritt über den großen Teich, um ihren ganz großen Traum zu verwirklichen. Sie wollten einen Vertrag unterschreiben. Sie wollten sich auf dem Parkett empfehlen. Viermalzehn war immer und überall dabei.
Gerade wollten wir für den verloren gegangenen Schlüssel bezahlen, drohten Jon spaßeshalber mit dem Knast, da schallten urplötzlich martialische Schreie vom Parkplatz. Jon Solomon hatte den nicht gerade handlichen Schlüssel nun doch gefunden. Und wo? In seiner Hosentasche! IN SEINER HOSENTASCHE!
Acht junge Underdogs
Noch nie zuvor hatten wir solch einen Trip begleitet. Wir waren einfach neugierig, wollten es unbedingt ausprobieren. Und da standen wir nun: Donnerstagvormittag vor einer Woche, Flughafen Berlin-Tegel, Gate A01. Ein Schild mit dem Schriftzug “SMAA” zwischen den Händen, tausend Gedanken im Kopf. Alles konnte passieren. Vorbereitet hatten wir uns. Stationen und Statistiken kannten wir, Highlight-Videos hatten wir gesehen. Doch was für Menschen würden uns eigentlich erwarten? Was steckte hinter den Namen und Zahlen? Wohin sollte diese Reise gehen?
Im Frühjahr 2013 saß uns Jon Solomon noch in New York gegenüber. Wir hörten ihm zu. Wir wollten verstehen, was diesen jungen Mann, der für eine Karriere als Basketball-ProfiWas steckte hinter den Namen und Zahlen? Wohin sollte diese Reise gehen? nicht talentiert genug gewesen war, eigentlich antreibt – und was wirklich hinter diesen vier Buchstaben steckt: SMAA Die “Self Motivated Athletic Agency” – eine Agentur für Spieler, die in den USA unter dem Radar fliegen und vergebens auf ganz große Angebote warten, eine Gruppe echter Underdogs – weckte unser Interesse. Jon Solomon jonglierte mit leidenschaftlichen Worten: “Ich will den Spielern eine Chance geben, ihren Traum zu verfolgen. Denn diese Chance hat jeder verdient.”
Die Spieler kratzten ihr Geld zusammen, Malachi Jackson beispielsweise sammelte sogar Spenden, um sich den Trip, das Flugticket leisten zu können. Und da standen sie nun, ein bisschen verloren, plötzlich in Deutschland.
Worst-Case am Flughafen
Bennett Shaw landete als erster SMAA-Spieler in Deutschland. Und als wir den 22-Jährigen begrüßten, lag hinter ihm ein zwölfstündiger Flug. Von Los Angeles nach Berlin. Non-Stop. Die Zeitumstellung machte ihm zu schaffen. Shaw war müde, und teilte dieses Leid an den ersten Tagen mit seinen neuen Mannschaftskameraden, die ihm zuvor noch nie begegnet waren.
Jon Solomon hatte aus ehemaligen College-Spielern ein interessantes Team zusammengestellt. Einige von ihnen hatten schon im Ausland gespielt, in Mexiko (Kwan Waller) oder Island (Danero Thomas) zum Beispiel. Andere wollten sich für ihren ersten Arbeitsvertrag empfehlen (Derek Hall, Colton Burgon, Brandon Harris, Jabril Bailey, Malachi Jackson und Bennett Shaw). Doch warum ausgerechnet Europa? Weil sich in den Vereinigten Staaten abseits des NBA-Parketts mit Basketball kaum Geld verdienen lässt. Deutschland hingegen gilt in US-Kreisen als sicherer Arbeitsplatz. Das Geld kommt pünktlich. Die Strukturen sind professionell. Die Spieler müssen sich keine Gedanken machen.
So hatte es sich wohl auch Jabril Bailey vorgestellt. Doch dann kam alles anders. Bailey hatte sein Handy im Flugzeug verloren. Ein junger Mann, unzählige Meilen von zu Hause entfernt und dann auch noch ohne Kommunikationsmöglichkeit. Worst-Case.
Jabril Bailey war genervt, und versuchte erst gar nicht, seinen Missmut zu verbergen. Lächeln? Fehlanzeige! Dieser Schock musste verdaut werden.
Das Drama um Louis Vuitton
Rafael Barlowe stand währenddessen auf dem Dessauer Bahnhof und hatte ein für diesen Ort untypisches Problem. Seine teure Louis Vuitton-Tasche (jede Preisangabe wäre ohne Gewähr) war während des Transport beschädigt worden und hatte nun ein riesiges Loch. “Gibt es hier einen Louis Vuitton-Laden?”, fragte der offizielle SMAA-Kameramann und ahnte aufgrund unseres breiten Grinsens nichts Gutes. Wir erklärten ihm, dass solch ein Geschäft in Dessau voraussichtlich eher Minus machen würde und griffen stattdessen zum Telefon.
Nach einer einwöchigen Odyssee durch unzählige Warteschleifen konnten wir dem Dokumentarfilmer, der in den USA als Scout und Filmemacher für die Texas Legends (NBA D-League) arbeitet, eine frohe Botschaft übermitteln: Eine neue Tasche war auf dem Weg zu ihm. Oder zumindest eine Entschädigung. Barlowe glücklich. Problem gelöst.
Überhaupt waren wir während den sieben Tagen oft als Problemlöser gefragt. Diese zehn jungen Männer (8 Spieler, Jon & Rafael) wirkten in dem ihnen fremden Land recht unbeholfen. Wie sollte es auch anders sein? Niemand von ihnen sprach Deutsch. Einige Spieler bemühten sich: Derek Hall und Colton Burgon lernten schnell, auch Brandon Harris sammelte fleißig neue Vokabeln. Andere wiederum erfüllten zunächst das Klischee eines ignoranten Amerikaners und versuchten erst zum Ende des Trips ihren Horizont nicht nur auf dem Spielfeld zu erweitern.
Allmählich aber verstanden sie, dass zum Beruf des Profi-Basketballers weitaus mehr gehört, als das bloße Produzieren von Statistiken. Trainer und Manager interessieren sich auch für den Menschen hinter den Zahlen, vor allem bei solch einer Tour, die für deutsche Vereine eine einmalige Möglichkeit bietet, potenzielle Neuzugänge aus Übersee persönlich kennenzulernen. Einige Spieler waren sich dessen von Anfang an bewusst. Andere verstanden es erst später – zu spät, um ehrlich zu sein.
Am Ende ganz allein
Als Profi muss man sich eben auch gesellschaftlich anpassen, um in Deutschland einen Vertrag zu ergattern. Die Konkurrenz ist schließlich riesig. Die Vereine können frei wählen. Jedes Jahr strömen unzählige US-Spieler nach Europa, viele von ihnen wollen den ganz großen Durchbruch schaffen. Die SMAA-Jungs wollten derweil einfach nur einen Vertrag.
“Ich bin einfach zu groß für einen normalen Job”, sagte zum Beispiel Derek Hall – 2,13 Meter lang und 23 Jahre alt. “Für mich gibt es keinen Plan B. Ich muss Basketball-Profi Als Profi muss man sich eben auch gesellschaftlich anpassen, um in Deutschland einen Vertrag zu ergattern.werden!” Der lange Centerspieler mit dem weichen Händchen und europäischem Pass präsentierte sich als Vorzeige-Profi. Ein Verein aus der Region bekundete reges Interesse. Lange Zeit plagten Hall jedoch Zweifel. Deutschland oder doch der Vorvertrag in Ungarn? Derek Hall war sich nicht sicher. Für ihn war diese Situation vollkommen neu. Jeder redete auf ihn ein: Vereine und Agenten im persönlichen Gespräch, Familie und Freunde via Facebook. Wem konnte er vertrauen? Was sollte er tun? Er musste eine Entscheidung treffen – und das am Ende ganz allein. Doch Hall entschied sich für Ungarn, dem Heimatland seiner Großmutter, die während des zweiten Weltkriegs in die USA geflüchtet war.
Mehr als Empfehlungen und Highlight-Tapes
Man muss den Mut dieser jungen Männer respektieren. Einfach so über den großen Teich zu fliegen, in eine völlig neue Welt, mit völlig fremden Menschen, um das ganz große Ziel, den eigenen Lebenstraum zu verwirklichen, verlangt nach mehr als bloßem Abenteurgeist. Nicht viele Menschen gehen auf solch eine Reise. Nicht wenige verharren lieber in ihrer Wohlfühl-Zone. Doch wie soll man herausfinden, ob es für eine Karriere als Basketball-Profi reicht, wenn man es nie versucht hat?
Die SMAA-Spieler hätten einen leichteren Weg gehen können. Mit Sicherheit. Empfehlungen von ehemaligen Trainern sammeln, einige Highlight-Tapes zusammenstellen und das eigene Spiel besser aussehen lassen, als es wirklich ist. “Im Video kann ich jeden Spieler wie einen NBA-Spieler aussehen lassen”, sagte Kameramann Rafael Barlowe.
Doch diese acht Spieler wollten sich persönlich präsentieren. In sieben Tagen standen fünf Partien auf dem Programm, mit Sicherheit zu viel. Die Spieler waren müde. Die Knochen mussten einiges aushalten. Kwan Waller konnte sich nach dem letzten Spiel kaum noch bewegen – und doch huschte dieses vielsagende Lächeln über sein Gesicht.
Doch kein fettes Haus in L.A.
Kwan Waller spielte einfach am besten. Der Aufbauspieler ragte aus dem SMAA-Team heraus. Die deutschen Vereine mochten sein Auftreten allerdings nicht. Abseits des Spielfeldes sprach Waller am liebsten über Frauen oder auch Bitches, wie er zu sagen pflegte. Seine extravagante Art passte einfach nicht nach Deutschland. Sein ewiger Trash-Talk wirkte irgendwann einfach nur noch unangebracht. Doch plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung flatterte dieses unglaubliche Angebot in seinen elektronischen Briefkasten: Russland, zweite Liga, 8. 000 Dollar pro Monat, 64. 000 Dollar in der gesamten Saison.
Kwan Waller und Jon Solomon saßen auf dem Hotelflur und konnten es einfach nicht fassen. Solche Summen. Einfach so. Wahnsinn. “Irgendwann kaufe ich mir davon ein fettes Haus in Los Angeles”, frohlockte Waller, ehe der Vertrag überhaupt unterschrieben war. Einige Tage später aber war klar: Eine Unterschrift würde es nicht geben. Alles nur Fake.
“Fehler machen und aus ihnen lernen”
Malachi Jackson, Jabril Bailey, Colton Burgon, Brandon Harris und Bennett Shaw warten bislang vergebens auf ein Angebot. Danero Thomas hat erneut in Island unterschrieben. Für ihn hat schon wieder ein neues Abenteuer begonnen. Für uns bleiben sieben unvergessliche Tage. Die SMAA Germany Tour 2013 hat Spaß gemacht. Wir haben gelacht und wir haben geweint (nun ja, nicht im wortwörtlichen Sinne, Männer weinen ja nicht, aber ihr wisst schon, worauf ich hinaus will).
Jon Solomon hatte den Mut, acht junge Basketballer über den großen Teich zu bringen und mit ihnen ein Abenteuer zu wagen. Doch für den 27 Jahre jungen Agenten war dieses Solomon fand den Schlüssel zum Ascherslebener Ballhaus wieder, der zum ganz großen Erfolg aber fehlte.Abenteuer vielleicht ein bisschen zu groß. Solomon fand den Schlüssel zum Ascherslebener Ballhaus wieder, der zum ganz großen Erfolg aber fehlte. “Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe”, sagte Solomon im Nachhinein, “aber wir mussten diese Chance einfach ergreifen und haben unglaublich viel aus unserer Zeit in Deutschland gelernt. Und darum geht es doch im Leben: Fehler machen und aus ihnen lernen.”
Und während wir allmählich wieder im öden Alltagstrott versinken, geht die Reise des SMAA-Teams weiter. Die nächsten Stationen heißen Ungarn, Österreich und Irland. Zwei neue Jungs sind hinzugestoßen. Sie werden lernen. Wie die acht anderen.