Ein Wachstumsschub zwang ihn fast zum Karriereende. Wieder genesen spielte er in den USA am College und in der ersten kanadischen Liga. In China standen ihm zuletzt NBA-Spieler wie J.R. Smith gegenüber. Und im Kongo muss er noch heute von Soldaten beschützt werden. Yannick Anzuluni ist ein Weltenbummler, wie es ihn in der 1. Regionalliga Nord nur einmal gibt……
Yannick Anzuluni steigt aus seinem Auto. Elegant sieht es nicht aus. Eher ungelenk, fast schon ungeschickt. Er möchte nirgends anstoßen, muss seine langen Arme und Beine koordinieren – nicht leicht für den 2,04-Meter-Mann. „Daran hat wahrscheinlich niemand gedacht“, scherzt Anzuluni, „aber ich liebe mein Auto, obwohl es klein ist.“ Ein weißer Kleinwagen aus Wolfsburg, bereitgestellt vom BBC Magdeburg, dem Verein, für den Yannick Anzuluni seit September 2012 auf dem Parkett steht.Er sitzt auf den Zuschauerrängen in der Hermann-Gieseler-Halle. In einer halben Stunde beginnt das Abschlusstraining, in acht Stunden empfängt Magdeburg den Lokalrivalen aus Elbingerode, die Bodfeld Baskets Oberharz, zum Derby in der Hermann-Gieseler-Halle. Anzuluni ist entspannt, lässt seine Sporttasche lässig auf den Boden fallen. Auf dem Parkett wird Handball gespielt. Bälle knallen an die Latte. Ein missglückter Wurfversuch fliegt in Richtung Anzuluni. Er sieht den Ball kommen, streckt seine langen Arme aus und greift hoch in der Luft zu. Der Handballer ruft: „Vorsicht.“ Sein Spielgerät fliegt längst zurück. Er bedankt sich. Yannick Anzuluni lächelt. Er lacht scheinbar immer, auch auf dem Spielfeld, gelegentlich sogar bei Fehlentscheidungen der Schiedsrichter. „Ich werde oft gefragt, warum ich immer so fröhlich bin“, sagt der 25-Jährige und erklärt: „Ich habe es einfach im Blut. Das ist meine afrikanische Art, so wurde ich geboren.“
Maschinengewehr schussbereit
Am 21. August 1987 in Kinshasa, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, geboren, erinnert sich Yannick Anzuluni an seine afrikanischen Wurzeln: „Ich bin mit Politik aufgewachsen. Mein Vater war 15 Jahre lang Vizepräsident im Kongo. Bei den nächsten Wahlen wird er als Präsident kandidieren.“ Sein Sohn wird ihn im Wahlkampf nicht unterstützen. „Zu gefährlich“, meint Anzuluni. Im Kongo könne er das Haus nicht ohne mindestens zwei Soldaten verlassen, Maschinengewehre hätten seine Bewacher stets schussbereit positioniert. Eine Geschichte, wie man sie von „Ich bin mit Politik aufgewachsen. Mein Vater war 15 Jahre lang Vizepräsident im Kongo. Bei den nächsten Wahlen wird er als Präsident kandidieren.“einem professionellen Basketballer, der seinen Lebensunterhalt scheinbar unbeschwert verdient, nicht erwartet. „Die Leute sehen mich durch die Luft fliegen oder Dreier werfen, aber sie sehen nicht, was hinter dem Basketballer steckt“, sagt Anzuluni. Er hat einen Bachelor-Abschluss im Fach Politikwissenschaft, möchte nach seiner Basketballkarriere als Politiker arbeiten. „Wenn man über Politik in Afrika spricht, dann muss man leider auch über Korruption reden“, weiß der gebürtige Kongolese, „man braucht ehrliche Politiker, ehrliche Menschen um in Afrika etwas zu verändern. Ich wäre gerne einer dieser Menschen.“ Nach seinem Studium am Houghton College im US-Bundesstaat New York entschied er sich zunächst aber für ein Leben als Profisportler. „Das hat meinen Vater schon ein bisschen enttäuscht, aber er konnte meine Entscheidung verstehen“, erzählt Yannick Anzuluni. Zwei seiner sieben Brüder – Anzuluni hat außerdem sechs Schwestern, also insgesamt 13 Geschwister – hatten sich einige Jahre zuvor auch für den Profisport entschieden, waren als Fußballer in Belgien aktiv. Einer spielte mit dem RSC Anderlecht sogar in der Champions League. „Ich wollte zuerst auch Fußballer werden“, verrät Anzuluni, „aber dann kam Basketball.“
Der 2,04-Meter-Mann schaut auf die Uhr. Bis zum Abschlusstraining bleiben noch 15 Minuten. Er muss sich umziehen, pünktlich sein. Das BBC-Team versammelt sich auf dem Parkett. Systeme werden gelaufen, mögliche Spielsituationen simuliert. Es geht um Automatismen. Yannick Anzuluni bewegt sich gemächlich, seine knielangen Socken erinnern an Patrick Femerling. Trainer Polychroniadis lässt Fünf gegen Fünf spielen. Die Stimmung ist entspannt. Plötzlich ein Schrei: „Bullshit“, wirft Dimitris Polychroniadis seinen Spielern lautstark mit griechischem Akzent an den Kopf. Ihm gefällt nicht, was er sieht. Er muss eingreifen. Er korrigiert. Es wird geworfen. Es geht um den Rhythmus. Anzuluni kratzt sich am Kopf, streckt seine Arme aus und fordert den Ball. Kein Pass. Kein Problem. Hände in die Hosentaschen. Das Abschlusstraining ist vorbei. Umziehen, anschließend Mittagessen.
Sympathischer Weltenbummler
Es gibt Nudeln. An Spieltagen gibt es immer Nudeln. „Danach lege ich mich auf mein Bett und gucke Cartoons“, erzählt der Film-Fan, „Dragonball Z und solche Sachen.“ Er müsse den Kopf frei kriegen, abschalten, Zeichentrickfilme würden dabei helfen, so sagt er: „Ich möchte einfach nicht an Basketball denken.“ Son-Goku und Vegeta kämpfen. Die Zeit vergeht. Zwei Stunden vor dem Spiel ist Yannick Anzuluni wieder in der Hermann-Gieseler-Halle.
Die Halle füllt sich. Die Mannschaften wärmen sich auf. Yannick Anzuluni sieht, dass BBO-Flügelspieler Sven Kaldre nicht auf dem Parkett steht: „Sven spielt nicht?“ Nein, Sven ist verletzt. „Schade“, meint Anzuluni, „ich hatte mich darauf gefreut, gegen ihn zu spielen.“ Die beiden Basketballprofis hatten sich Anfang Januar beim BVSA All Star Tag in Elbingerode kennengelernt. Während Kaldre den Drei-Punkte-Contest gewann, sicherte sich Anzuluni den Slam-Dunk-Titel, flog unter anderem über seinen Magdeburger Mitspieler Kamil Piechucki hinweg in den Korb und lieferte sich während des Spiels ein krachendes Dunk-Duell mit dem heimischen US-Amerikaner Everage Richardson. All-Star MVP Anzuluni erinnert sich gerne zurück: „Zuerst wollten mich die Zuschauer nicht anfeuern, wahrscheinlich weil ich für Magdeburg spiele, aber irgendwann hatten sie keine andere Wahl mehr.“ Spektakuläre Flugeinlagen und ein breites Grinsen sind nun mal überzeugend. Yannick Anzuluni ist nun mal sympathisch.
Aber ein Derby ist nun mal auch ein Derby. Und da sind solche Sympathien schnell wieder vergessen: Etwa 20 mitgereiste BBO-Fans schreien und pfeifen, als Yannick Anzuluni an der Freiwurflinie steht, seine Konzentration soll gestört werden – ohne Erfolg. Der Flügelspieler trifft und wirft den Gästen aus dem Harz ein cooles Augenzwinkern entgegen. Anzuluni präsentiert sich nervenstark, ist fokussiert und bejubelt lautstark einen Dunking von Mitspieler Jeremie Woods. Es läuft gut für Magdeburg. Elbingerode trifft nicht. Der Ball prallt vom Ring ab. Flügelspieler Anzuluni kämpft um den Rebound, berührt den Ball unglücklich in der Luft und befördert ihn in den eigenen Korb – eine skurrile Szene. Anzuluni schüttelt den Kopf. Ärgerlich für ihn, aber auch nur zwei Punkte für Elbingerode. Es geht weiter. Anzuluni trifft vorne aus der Distanz und blockt hinten zweimal einen Wurfversuch seines Gegenspielers. Er ist im Spiel. Magdeburg führt mit einem Punkt. Das zweite Viertel beginnt. Anzuluni zeigt einige unglückliche Aktionen. Er hadert mit sich selbst, ist unzufrieden. Die Schiedsrichter pfeifen zur Halbzeit. Magdeburg führt mit sechs Punkten (41:35). Die Nummer 8 läuft ohne Umwege in die Kabine.
Peter Bogel, Manager des BBC Magdeburg, sitzt auf der Tribüne. Er macht sich Notizen. Das Spiel gefällt ihm. „Wir gewinnen“, gibt sich Bogel schon zur Pause siegessicher. Es muss auch gewonnen werden, denn Magdeburg möchte aufsteigen, steht auf dem zweiten Tabellenplatz und muss Klassenprimus VfL Stade in den verbleibenden Spielen noch einholen, um sich sportlich für die Pro B zu qualifizieren. Peter Bogel rückt seine Brille zurecht. „Yannick Anzuluni“, so sagt er, „ist ein richtig guter Typ, ein Sympathieträger und ein echter Weltenbummler.“ Anzuluni lebte mit seiner Familie in Frankreich und der Schweiz, sieben Jahre lang in Belgien, später lange Zeit in Kanada, besitzt neben dem kongolesischen auch den kanadischen Pass. Nach seinem Abschluss am US-College zog es den Flügelspieler für zwei Spielzeiten in die erste kanadische Liga. Dann wagte Anzuluni den Schritt nach China, spielte dort sechs Monate lang in der höchsten Spielklasse gegen NBA-Spieler wie J.R. Smith, Fred Jones oder Aaron Brooks. „Ich bin besser geworden, aber das Leben war anders“, blickt Yannick Anzuluni zurück. Keine E-Mails. Kein Facebook. Kein Twitter. Ein halbes Jahr lang kein Kontakt zu seiner Familie. „Das war hart“, so der 25-Jährige, „trotzdem war die Zeit in China eine gute Erfahrung.“
Ein typischer Anzuluni-Moment
In der Hermann-Gieseler-Halle beginnt das dritte Viertel. Yannick Anzuluni steht nur wenige Minuten auf dem Parkett, dann beordert ihn Coach Polychroniadis auf die Auswechselbank. Anzuluni kann nicht still sitzen. Er kniet sich auf den Boden, wippt hin und her. Er wartet ungeduldig auf seine Einwechslung. Acht Minuten sind noch zu spielen. Der lange Flügelspieler steht wieder auf dem Parkett. Er hechtet dem Ball hinterher, will sich wieder ins Spiel kämpfen. Freiwürfe für Magdeburg. Der Ball liegt auf Höhe der Mittellinie. Niemand bewegt sich. Niemand fühlt sich verantwortlich. Anzuluni schaut kurz zum Schiedsrichter, läuft zur Mittellinie und übergibt dem Unparteiischen den Ball. Die Zuschauer klatschen. Der 25-Jährige lächelt, streckt schelmisch seine linke Faust zur Siegerpose in die Luft – einer dieser typischen Anzuluni-Momente.
Das Spiel scheint noch einmal spannend zu werden. Elbingerode verkürzt den Rückstand, Magdeburg vergibt einige Freiwürfe. Noch sieben Punkte Vorsprung für den BBC. Dabei bleibt es. Die Gäste sind nicht ausgeglichen genug besetzt, kämpfen zwar, doch in der Schlussphase hat Magdeburg die richtigen Antworten parat. Nach 40 gespielten Minuten steht ein 82:75-Sieg für den Aufstiegsaspiranten auf der Anzeigetafel. „Wir hätten mit 20 Punkten gewinnen müssen“, sagt Yannick Anzuluni kritisch, weiß aber auch: „Ein Sieg ist ein Sieg.“ Hinter seinem Namen stehen 18 Punkte, 14 Rebounds, vier Vorlagen und vier geblockte Würfe auf dem Statistikbogen. Anzuluni hat effektiv gespielt, darf mit seiner Leistung zufrieden sein. „Auch Yannick hat noch Baustellen in seinem Spiel“, merkt Trainer Dimitris Polychroniadis nach dem Derby an, lobt aber zugleich die Einstellung seines besten Punktesammlers: „Er baut genauso die Körbe auf und ab, wie alle anderen auch, hat keinerlei Allüren.“
18 Zentimeter in zwei Monaten
Yannick Anzuluni genießt den Sieg. Er weiß solche Momente zu schätzen, kann sich nämlich noch gut an diese ungewisse Zeit im Sommer vor seiner ersten Saison am US-College erinnern, als er seine Karriere beinahe beenden musste: „Ich bin plötzlich gewachsen, 18 Zentimeter„Ich bin plötzlich gewachsen, 18 Zentimeter in zwei Monaten. Ich wollte laufen und bin einfach hingefallen. Es war verrückt.“ in zwei Monaten. Ich wollte laufen und bin einfach hingefallen. Es war verrückt.“ Die Ärzte schlugen Alarm. Ein paar Monate lang war an Sport nicht zu denken. Anzuluni hatte Koordinationsprobleme, seine Knie mussten sich regenerieren. „Und ich musste mich an meine Größe gewöhnen“, sagt Anzuluni, damals 17 Jahre alt, „in den ersten Wochen habe ich mir jeden Tag den Kopf gestoßen.“ Er lernte den Kopf einzuziehen, seine Knie erholten sich, zwangen ihn nicht zum vorzeitigen Karriereende.
Der 2,04-Meter-Mann spielte am US-College, in Kanada und China, kämpft mit dem BBC Magdeburg noch bis Ende März um den Aufstieg in die Pro B. Er fühlt sich wohl in der Elbestadt, hat sich an seine Zwei-Zimmer-Wohnung und sein kleines Auto gewöhnt. Yannick Anzuluni mag Magdeburg. Und Magdeburg mag ihn. Der 25-Jährige kommt ins Grübeln. Er habe schon oft darüber nachgedacht, was nach der Saison passieren wird. „Aufsteigen und in Magdeburg bleiben, das wäre mein Traum“, so sagt er, „aber wenn ein Angebot aus einer höheren Liga kommt, dann muss ich wohl gehen.“ Ehrliche Worte. Es geht nun mal um seine Karriere. Und sein Vertrag läuft aus. Einen Wechsel könnte ihm niemand verübeln, aber vermissen würde man ihn in Magdeburg, seine Punkte und sein Lächeln würden fehlen.
Yannick Anzuluni verlässt die Hermann-Gieseler-Halle. Nur noch wenige Autos stehen auf dem Parkplatz. Es ist spät geworden. Wieder ist ein Spieltag vorüber, wieder ein Sieg für Magdeburg und eine überzeugende Partie vom sympathischen Weltenbummler. „Cartoons gucken und Basketball spielen“, grinst Yannick Anzuluni, „mein Leben ist großartig.“ Er steigt in sein Auto. Elegant sieht er dabei nicht aus. Aber glücklich.