Es passiert nicht oft, dass männliche Basketball-Talente aus Sachsen-Anhalt bundesweit für Aufsehen sorgen. Andreas Obst aber hat genau das geschafft. Nach seinem Weggang aus Halle hat er beim Branchenprimus Brose Baskets Bamberg eine neue Heimat gefunden. Er bleibt bescheiden – und das trotz seines rasanten Aufstiegs. Der 16-jährige Distanzspezialist ist kein abgehobener Träumer, sondern ein äußerst sympathischer Realist.
Die Stechert Arena füllte sich. Andreas Obst war nervös. “Hoffentlich treffe ich vor all den Leuten überhaupt”, schoss es durch seinen Kopf. Lampenfieber machte sich breit. Doch sein Wurf fühlte sich gut an. Unbekümmert dachte er sich: “Wenn ich ein bisschen Platz habe, dann drücke ich einfach ab.” Sechsmal warf Andreas Obst anschließend von jenseits der Dreipunktelinie – und sechsmal fand sein Wurf den Weg ins Ziel. Der gebürtige Hallenser bot im Halbfinalspiel des NBBL Top 4 in Bamberg eine überragende Vorstellung und führte seine Mannschaft ins Endspiel.Im Sommer 2011 hatte Andreas Obst eine Entscheidung getroffen: “Ich wollte profimäßig ausgebildet werden, so dass ich mit Basketball später einmal Geld verdienen kann”, sagt er rückblickend. Sein Wunsch nach einer leistungsorientierten Ausbildung auf höchstmöglichem Niveau bedingte den Abschied aus seiner Heimatstadt. In Halle boten sich kaum ansprechende Perspektiven. Konkurrenz fehlte. Andreas Obst überzeugte bei einigen DBB-Sichtungsmaßnahmen. Die Brose Baskets Bamberg klopften an.
Nach zwei überzeugenden Besuchen im basketballverrückten Frankenland stand seine Entscheidung fest. Das 1,90 Meter große Talent aus Sachsen-Anhalt schloss sich dem Ausbildungsprogramm des in den vergangenen Jahren mit Abstand erfolgreichsten deutschen Basketballvereins an. TSV Tröster Breitengüßbach – so hieß es nun, sein neues Team.
Alle Träume klingen verrückt
Bamberg wurde seine neue Heimat, von Halle trennten ihn fortan 260 Kilometer und eine etwa zweieinhalbstündige Autofahrt. Andreas Obst war damals 15 Jahre alt. “Welche Mutter sieht es schon gerne, dass ihr Sohn in diesem Alter von zu Hause auszieht?”, erinnert sich Simone Fischer an den Abschied von ihrem Sohn, sagt aber auch: “Für ihn war das die einzig richtige Entscheidung.” Dem talentierten Aufbauspieler eröffnete sich plötzlich eine ganz neue Welt: Er schoss Erinnerungsfotos mit seinen Idolen oder stand selbst im Brose-Outfit auf dem Parkett. Andreas Obst fühlte sich in Bamberg sofort wohl.
“Andi hat sich hier sehr schnell eingelebt. Er ist ein lustiger Typ und gut für unsere Gemeinschaft”, sagt Daniel Töwe, Betreuer in der Nachwuchs-WG der Brose Baskets Bamberg. Lässig sitzt er an dem modernen Esszimmertisch der sportlichen Wohngemeinschaft, ihm gegenüber Andreas Obst mit zwei Stücken Pizza auf dem Teller. Schulwechsel nach Bayern seien immer schwer, meint Töwe. Obst nickt, geht schließlich mehrmals pro Woche zur Nachhilfe und steckt momentan mitten im Prüfungsstress. In zwei Wochen möchte er seinen Realschulabschluss machen. Lernen ist angesagt. Zum Glück ist Off-Season. “Andi packt das”, ist sich Töwe sicher.
Der Betreuer hat sich dem Bamberger Ausbildungsprogramm verschrieben, wohnt mit den Talenten in einem etwas abgelegenen Viertel. Ab und an zwitschert ein Vogel – ansonsten ist es ruhig. Die Spieler stehen für den TSV Tröster Breitengüßbach, die ausgegliederte Nachwuchsabteilung der Brose Baskets, in der NBBL, JBBL, Pro B oder Regionalliga auf dem Parkett. Andreas Obst meint: “Die Voraussetzungen sind perfekt.” Auf zwei modern ausgestatteten Etagen leben fünf Talente und Betreuer Töwe. Jedes Zimmer ist gleich groß, Fernsehen nur im Wohnzimmer erlaubt.
An den Wänden hängen Erinnerungen: Eine Foto-Collage aus seiner Zeit beim USV Halle, Zeitungsartikel über seinen Wechsel nach Bamberg oder Erfolge mit der Jugendnationalmannschaft. “Das habe ich zuerst aufgehängt”, sagt Andreas Obst und zeigt auf ein Poster von Dirk Nowitzki, auf dem groß geschrieben steht: Alle Träume klingen verrückt. Bis sie wahr werden.
Erfolgsrezept: Pure Arbeit!
Andreas Obst ist aber eigentlich gar kein Träumer. “Natürlich träumt jeder irgendwann einmal von der NBA”, so sagt er, “aber das strebe ich nicht an. So etwas behindert einen nur.” Einmal mit einem spanischen Team in der Euroleague spielen oder einen Stammplatz bei einem Bundesliga-Team ergattern – so lesen sich seine ambitionierten, aber durchaus realistischen Ziele. Daniel Töwe sagt über den 16-Jährigen: “Wir sind von seiner Arbeitseinstellung absolut überzeugt und wenn man sich die deutschen Spieler anguckt, die derzeit in Bamberg erfolgreich sind, wie beispielsweise Karsten Tadda oder Philipp Neumann, dann sieht man, dass vor allem eines dahinter steckt: pure Arbeit.” Sieben bis zehn Trainingseinheiten stehen für Obst pro Woche auf dem Programm.
Warum es Andreas Obst als Basketball-Talent aus Sachsen-Anhalt bislang so weit gebracht hat? “Er hat gute Veranlagungen, den nötigen Willen und ganz einfach rechtzeitig mit Basketball angefangen”, meint Betreuer Töwe.
Nachdem sich Obst beim Fußball und Schwimmen probiert hatte, warf er im Alter von acht Jahren zum ersten Mal einen Basketball durch den Korb – und blieb hängen. “Damals war Andi noch einer unter vielen”, erinnert sich Philipp Streblow, “aber man hat dann schon recht schnell gemerkt, dass er ein riesengroßes Talent ist.”
Streblow trainierte den schon damals als Distanzspezialisten bekannten Obst einige Jahre lang beim USV Halle und feierte mit ihm den Gewinn der Ostdeutschen Meisterschaft als größten Erfolg. “Im Finale hat uns Andi mit 36 Punkten zum Sieg geworfen”, erzählt Philipp Streblow. Die beiden Hallenser stehen noch heute in Kontakt. Streblow sagt: “Andi war schon immer ein Spaßbolzen, ein echter Sunnyboy.”
Kraftraum statt Entspannung
Den Spaß bei all dem Stress nicht zu vergessen, fällt ihm an manchen Tagen gar nicht so leicht. Obst verlässt meist in den frühen Morgenstunden das Haus, kehrt während einer Saison nicht selten erst am späten Abend zurück. Schule, Nachhilfe, Kraft-, Individual- und Mannschaftstraining nehmen Zeit in Anspruch. Seine Mutter Simone Fischer hat sich an den straffen Zeitplan ihres Sohnes inzwischen gewöhnt. “Wenn er sich nicht meldet, dann weiß ich, dass es ihm gut geht”, so sagt sie und bewundert seine Einstellung: “Da staune ich manchmal wirklich, dass er das alles so durchzieht. Aber es hat ihm eben schon immer Spaß gemacht.”
Und sein unbändiger Ehrgeiz hat ihn bislang zu einigen Erfolgen geführt: Da wären zum einen schöne Momente beim USV Halle wie beispielsweise die Ostdeutsche Meisterschaft. Dann aber auch Erfolge im Nationalmannschaftstrikot, beispielsweise im Spätsommer 2012, als sich Andreas Obst mit dem deutschen U 16-Team den fünften Platz bei der Europameisterschaft in Litauern sicherte und einen Gala-Auftritt gegen Griechenland hinlegte. Und natürlich das NBBL Top 4 vor wenigen Wochen in der heimischem Stechert Arena.
Eiswürfel zur Abkühlung
Zu den 2.300 Zuschauern in der Frankenhölle zählte auch seine Mutter. “Das war natürlich ein Pflichttermin”, sagt Simone Fischer, “ich habe bei jedem Wurf mitgefiebert.” Und das half anscheinend, denn jeder Dreipunktewurf fand den Weg ins Ziel. In der regulären Saison hatte Andreas Obst in 15 NBBL-Partien durchschnittlich knapp zehn Punkte pro Partie erzielt, zudem jeweils zwei Rebounds und Assists gesammelt und hin und wieder auch mit dem Pro B-Team auf dem Parkett gestanden. Im Halbfinale gegen Phoenix Hagen folgte dann eine Leistungsexplosion mit insgesamt 24 Zählern. “Wir haben zu Hause schonmal die Eiswürfel bereitgestellt”, scherzt WG-Betreuer Daniel Töwe, “irgendwann musste er ja wieder abkühlen.”
Geht es nach Andreas Obst, so war dieses Spiel mit hunderprozentiger Distanz-Trefferquote nur ein Vorgeschmack. “Es wäre schon sehr cool, später einmal mit dem BBL-Team in der Stechert Arena zu spielen”, sagt der 16-Jährige ohne jegliche Euphorie. Er arbeitete einfach akribisch auf dieses Ziel hin. Die Nationalmannschaft muss in diesem Sommer allerdings auf ihn verzichten. Er möchte sich auf seinen Abschluss konzentrieren, den Grundstein für das Abitur legen. Auch diese Seite gehört zur Entwicklung von Andreas Obst: “Andi ist für sein Alter wahnsinnig selbstständig”, sagt Simone Fischer und fügt sichtlich gerührt hinzu: “Wir sind einfach nur stolz auf ihn.”
Einen Tag nach dem denkwürdigen Halbfinalspiel sollte für den Hallenser eine bittere Enttäuschung folgen: Eigentlich wollte das NBBL-Team des TSV Tröster Breitengüßbach den Titel verteidigen, musste sich im Endspiel allerdings gegen Urspring geschlagen geben. Andreas Obst kam auf zwölf Punkte, traf zweimal von jenseits der Dreipunktelinie. Simone Fischer wollte ihren Sohn nach dem verlorenen Finale aufmuntern, so wie das Eltern eben tun. “Mama”, so allerdings sein einziger Kommentar, “der Zweite ist der erste Verlierer.”
Seine Eltern machten sich auf den Heimweg. Andreas Obst war bedient. Noch immer muss er bei dem Gedanken an die Niederlage tief durchatmen, sagt aber anerkennend: “Im Nachhinein weiß man, dass Urspring einfach besser war.”
Seine Reaktion auf solch einen Rückschlag: Sich aufrappeln. Das Lächeln wiederfinden. Und hart arbeiten – auf dem Parkett, im Kraftraum und auf der Schulbank. “Einfach durchziehen”, wie er sagt.