Der Mann muss ungefähr Mitte sechzig sein. Groß, weißhaarig, ein Smartphone so groß wie ein kleiner Fernseher. Seinen Platz nimmt er erst wenige Augenblicke vor der Teamvorstellung ein, den Schlusspfiff hat er noch nie erlebt. Sagen tut er nicht viel. Er feuert nicht an, seine Klatschpappe hat grundsätzlich dienstfrei. Wenn er sich äußert, dann nur, weil er etwas oder jemanden zu kritisieren hat. Wohnen muss er in Berlin, dafür spricht der Dialekt seiner spärlichen Kommunikation. Kurzum – er und ich haben nicht viel gemeinsam. Bis auf eine kleine Tatsache: Er ist Dauerkarteninhaber. Er ist mein Nachbar.
Wenn man Fan einer Mannschaft wird, dann durchläuft man dabei verschiedene Stufen. Es beginnt meist mit vorsichtigem Abtasten, der Annäherung, des immer näher werdenden Verfolgens. Meist entscheidet der erste Besuch in der Halle, ob man sein Herz verliert. Das ging mir mit Alba Berlin vor knapp einem Jahrzehnt nicht anders. Mich erwischte es zu der Zeit, als im deutschen Basketball eigentlich nur zwei echte Marken gab: Nowitzki und Alba. Das hat sich längst geändert, doch die einstigen Platzhirsche eint etwas: Trotz aller neuen Konkurrenz sind sie noch da. Und wirken hungriger als je zuvor. Der eine, weil er nach dem Titel immer noch Ziele hat. Und der andere, weil zu viele andere Bs in den vergangenen Jahren die Vitrinen gefüllt haben.
Bei drei oder vielleicht vier willkürlichen Besuchen pro Saison muss man Glück haben, die unvergesslichen Spiele zu erwischen.In den ersten Jahren orientierte sich mein Heimspielbesuchsrhythmus an ziemlich profanen Fakten: Wann ist Zeit im engen persönlichen Kalender, wer will mitfahren, welchen Gegner lohnt es sich mal anzuschauen? So kamen drei, vielleicht vier willkürliche Besuche pro Saison zusammen, bei denen man Glück haben muss, die unvergesslichen zu erwischen. Wenn darunter fünf Verlängerungen im ULEB-Cup (Dezember 2007) und das bittere Play-off Aus gegen Quakenbrück ein paar Monate zuvor sind, kann man dankbar sein. Leicht haben es die Albatrosse uns Fans in den vergangenen Jahren ja nicht gemacht. Trainerwechsel, Balkan-Stil, dann wieder US-Basketball – mit der wechselnden Identität gingen, so schien es, auch immer wieder vergebene Möglichkeiten einher.Vergangenen Sommer aber ging die Sonne über dem Hoffnungshorizont auf. Ein Trainer mit Alba-Stallgeruch, ein mit Verstand gebasteltes Team, die Euroleague-Wildcard. Es ist diese kurze Sommerphase, in der noch kein entscheidendes Spiel gespielt, keine bittere Enttäuschung eingesteckt, kein Gegner analysiert und kein Kreuzband gerissen ist. Die Zukunft erscheint prächtig und selbst hartnäckigste Recherchen erbringen keine Gegenbeweise, warum es anders als perfekt laufen sollte.
Das ist die Phase, in der Marketingabteilungen Dauerkarten-Angebote versenden.
Bisher hatte ich die immer überflogen und fein säuberlich zur Seite gepackt. So viele Spiele, so oft? Und vor allem: Das Verhältnis zwischen Fan und Team einmal um 180 Grad drehen? Als Dauerkartenbesitzer diktiert dir auf einmal das Team deinen Kalender. Es sagt dir, wann du zu kommen hast, ärgert dich mit kurzfristigen Spielverschiebungen, nimmt dir die Entscheidung ab, ob du den kommenden Gegner magst. Oder nicht. Ob du dein Team gerade sehen willst. Oder nicht.
Vielleicht wusste ich das, vielleicht auch nicht, als ich den Bestellbogen für die Euroleague zurückgesandt habe. Fünf Heimspiele von Oktober bis Dezember. Das klang überschaubar. Dass im Top16 noch sieben weitere folgen sollten – nicht zu erahnen.
Erst wenn man sich immer an der gleichen Stelle befindet, sieht und spürt man, was sich um dich herum verändert.Die Aufnahme in den Familienkreis war von Anfang an herzlich. Die gewünschten Plätze, netter Service, die Abbuchung mit respektvollem zeitlichem Abstand. Mitfahrer zu finden dauerte nicht lange. Dauerkartenbesitzer dürfen dann und wann bei Alba – und sicher auch anderswo – kostenfrei Gäste zu Spielen einladen. Das Gefühl des Neuen, das Näher-heran-gerückt-sein stellt sich jedoch erst im zweiten Spiel ein. Erst wenn man sich immer an der gleichen Stelle befindet, sieht und spürt man, was sich um dich herum verändert. Und was gleich bleibt. Dann fällt einem auf, was den einen von dem anderen unterscheidet: Als Besucher war ich früher zu Gast. Als Dauerkarteninhaber fühlst du dich als Teil des Ganzen.Du schüttelst den Kopf über Djedovics Pendeln zwischen Genie und Wahnsinn, schaust Morley bei der Arbeit im Blaumann zu (courtesy of Michael Körner), liebst Heikos Dreier, testest den neuen Dönerbecher und den 5 Euro Burger, bist geschockt nach Avdalovics Schreien und fragst dich, warum du sieben Euro für einen Parkplatz ausgibst.
Und du fragst dich, ob dieser Typ links neben dir eigentlich genau so fühlt. Morgen werde ich ihn fragen. Dann endet unsere Nachbarschaft mit dem letzten Heimspiel gegen Kaunas. Es ist Zeit, sich kennenzulernen.